Die Vierte Gewalt

Joseph Vogl beschreibt die parademokratische Macht der Finanzökonomie über einen nur noch scheinbar souveränen Staat. Aber wie lässt sie sich brechen?

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Amthor-Oeconomica-Ausschnitt
Den Staat im Griff – Ökonomie über Philosophie                                               Titelkupfer aus C. H. Amthors Project der Oeconomic von 1716

In den vergangenen Wochen und Monaten ist angesichts vielfacher anderer Krisen die Finanz- und Eurokrise ein wenig in den Hintergrund der medialen Aufmerksamkeitsökonomie gerückt. Zeit also, wieder einmal daran zu erinnern, dass etwa Griechenland weiterhin fern von Genesung ist, der Druck der „Institutionen“ auf die Regierung unvermindert. Spätestens seit den griechischen Wahlen im Januar 2015, die das Linksbündnis Syriza gewann, wurden die Vorgänge dort auch als Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Kapital wahrgenommen. Eine düstere Geschichte von deren langem mal mehr, mal weniger spannungsreichen Verhältnis seit Beginn der Neuzeit hat Anfang des Jahres als passende Begleitlektüre der Literatur- und Kulturwissenschaftler Joseph Vogl vorgelegt. Zeit, sich auch sie noch einmal vorzunehmen. „Die Vierte Gewalt“ weiterlesen

Theorie als Praxis des Partygesprächs

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Philipp Felsch erzählt furios, wie Theorie-Debatten um ’68 als revolutionäres Handeln galten und in den 80ern im Kneipengerede endeten. Gibt es bald eine Fortsetzung?

Das ganz normale Wunder des Miteinander-Redens - Bild: Andi_Graf/Pixabay(CC)
Das ganz normale Wunder des Miteinander-Redens – Bild: Andi_Graf/Pixabay(CC)

Es ist ja schon sehr viel über Philipp Felschs grandioses Buch Der lange Sommer der Theorie gesagt worden, zumeist Positives, bisweilen Begeistertes. Felsch zeichnet darin die Geschichte des philosophisch-literarischen Genres Theorie vor allem anhand der Entwicklung seines wohl profiliertesten Exponenten, des Berliner Merve Verlags und seiner Verleger nach. Ihm ist damit ein furioses Zeitportrait der 1960er bis ’80er Jahre gelungen. Einer der wenigen, dafür mehrfach von Rezensenten geäußerten Kritikpunkte ist interessanterweise Felschs eigener Verzicht auf Theorie sowie auf Historisierung. Das ist als Vorwurf an den distanziert betrachten wollenden Historiker zwar vielleicht etwas verwunderlich. Angesichts der letztlich doch auch melancholisch stimmenden Erzählung einer fortlaufenden Reihe immer neuer theoretischer Relativierungen ist es allerdings auch verständlich. „Theorie als Praxis des Partygesprächs“ weiterlesen

Die Infantilisierung unserer Gesellschaft

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Rauchverbot, Bologna-Reform, Hartz-IV – warum lassen wir uns eigentlich wie Kinder behandeln? Eine Antwort auf Paul Verhaeghes Neoliberalismus-Kritik, und die Frage nach dem guten Leben

Glanz und Elend der Kindheit
Depressives Vergnügen? Glanz und Elend der Kindheit für Erwachsene – Foto: Ryan McGuire/Pixabay

Vor einigen Wochen hat der belgische Psychologe Paul Verhaeghe im Guardian und im Freitag in einem Artikel über den „neoliberalen Charakter“ Richard Sennetts Formulierung von der „Infantilisierung der Angestellten“ aus dessen Buch Respect in a World of Inequality von 2003 wieder aufgenommen. In seinem Klassiker von 1977, The Fall of Public Man, hatte der amerikanische Soziologe Sennett die von Jürgen Habermas entwickelte Theorie vom Strukturwandel der Öffentlichkeit weitergeführt, wonach die in der Moderne erkämpfte und sie prägende „bürgerliche Öffentlichkeit“ in unserer Zeit dabei sei, sich durch ihre vollkommene Herstellung selbst wieder aufzuheben. Sennett sprach damals von den „Tyrraneien der Intimität“, für die der private und der öffentliche Bereich verschmolzen sind. Auf das eigentliche Intimleben bezogen bedeutet das etwa, dass der Sex die Erotik des Rollenspielerischen verliert zugunsten eines Zwangs zu persönlicher Offenbarung, die wiederum Narzissmus begünstigt. Ein Beispiel aus dem ursprünglichen Bereich der Öffentlichkeit wäre die neuere Generation von Talkshows, die keiner sachlichen Diskussion allgemein bedeutsamer Angelegenheiten dienen, sondern allein der Selbstdarstellung der Teilnehmer.

Doch schon für Habermas begann diese Entwicklung in der Sphäre der Erwerbsarbeit als einem Dritten zwischen Öffentlichkeit und Privatheit. Und Verhaeghe resümiert für die Gegenwart: „Die Infantilisierung unserer Gesellschaft“ weiterlesen